Kognitive Produktion

Die Zukunft des Fachwissens: Ontologien als digitale Helfer in der Produktion

Im letzten Blogbeitrag haben wir das spannende Thema Ontologien beleuchtet und ihre Bedeutung im Kontext Künstlicher Intelligenz sowie des anherrschenden Fachkräftemangels aufgezeigt. In diesem und den kommenden Beiträgen wollen wir das Thema weiter vertiefen und praktische Beispiele aus der Produktion zeigen.

Interoperabilität: Wenn Systeme sich die Hand reichen

Stellt euch vor, ihr seid auf einer Party, und jeder spricht eine andere Sprache. Frustrierend, oder? Genau so fühlt es sich an, wenn Systeme nicht miteinander kommunizieren können. Angesichts der vielen Interoperabilitätsbestrebungen, wie OPC UA oder der AAS, macht es absolut Sinn, bei der Ontologiemodellierung auf bestehenden Standards aufzubauen. Ontologien können unterschiedlich spezifisch in ihrer Ausprägung sein. Die sogenannten Top-Level-Ontologien, wie die Basic Formal Ontology (BFO), sind recht generisch und somit oft allgemeingültig – die „Universalgelehrten“ unter den Ontologien, wenn man so will. Wenn Ontologien auf dieser abstrakten Referenz aufbauen, wird es möglich, sie miteinander zu vergleichen. Um es bildlich darzustellen: Stellt euch die verschiedenen Ontologien in einer Pyramide vor, die von oben nach unten immer detaillierter werden (siehe Abb. 1).

Abb. 1

Die Grundfrage: Warum?

Ein weiterer Vorteil neben der Interoperabilität ist, dass die Modellierung nicht auf einem leeren Blatt Papier beginnt. Und trotz einer vorgegebenen Struktur ist vor der eigentlichen Modellierung die Frage zu stellen „Was soll formal repräsentiert werden?“ und „Welche Fragen soll das Modell beantworten können?“. Diese Fragen sind auch als Kompetenzfragen (nach T. Gruber) bekannt. Es bedarf vorab dem Verständnis über das WARUM der Modellierung. Mit Ontologien können viele Produktionsaspekte abgebildet werden, aber wichtiger ist es, sich auf das zu fokussieren, was wirklich gebraucht wird – keine „eierlegende Wollmilchsau“.

Prozesse im Rampenlicht: Ein praktisches Beispiel

Schauen wir uns Abb. 2 an. Sie zeigt vereinfacht drei Prozesse, die nacheinander von unterschiedlichen Werker:innen durchgeführt werden. In einem vorherigen Blogbeitrag haben wir bereits die Eigenschaft der Transitivität von Relationen näher beleuchtet. Kurzer Recap: Man möchte zwei Prozesse zueinander in Beziehung setzen, konkret durch die Vorrangbeziehung ausdrücken, dass beispielsweise Prozess Y nach Prozess X folgt. Alle diese Vorrangrelationen folgen einem gemeinsamen Muster. Wenn außerdem bekannt ist, dass Prozess Z nach Prozess Y folgt, können wir also mit Sicherheit sagen, dass Prozess X auch vor Prozess Z kommt.  Dies bezeichnet man als Transitivität. Relationseigenschaften sind übrigens nicht nur im Bereich der Ontologiemodellierung von Relevanz, sondern auch in der Mathematik. Im Grunde kann man sich merken, dass es darum geht logische Zusammenhänge zu beschreiben. Weitere Eigenschaften wären zum Beispiel: Symmetrie, Reflexion oder Funktionalität.

Abb. 2

IOF Core: Der Architekt hinter den Kulissen

Den Relationen in der BFO als generischer Referenz sind keine Eigenschaften zugeordnet, was angesichts ihrer abstrakten Natur sinnvoll ist. Zum Beispiel werden materielle Entitäten (bfo:‘material entity‘) nicht weiter spezifiziert als ‘fiat object part‘, ‘object‘ und ‘object aggregate‘. Im Gegensatz dazu ordnet die IOF Core unter derselben übergeordneten Elternklasse spezifischere Konzeptklassen ein, wie ‘Agent‘, ‘Material Product‘ oder ‘Raw Material‘. Dies schafft ein klareres Verständnis der jeweiligen Ressourcen im industriellen Kontext. In einer Anwendungsontologie könnten wiederum die Agenten in der Produktion weiter differenziert werden, etwa in Elektriker:in, Konstrukteur:in oder Mechatroniker:in.

Bei der Ausführung eines Produktionsprozesses sind neben den Werker:innen (angenommen es handelt es sich um manuelle Vorgänge) ebenfalls unterschiedliche Ressourcen erforderlich, wie beispielsweise Werkzeuge, Materialien oder bestimmte Zustandsformen an der Anlage. Auch Prozessparameter oder Umgebungsbedingungen können eine Rolle spielen. Ein mögliches Ontologiemodell, anhand dessen die Zusammenhänge zwischen und beim Prozess repräsentiert werden könnten, zeigt Abb. 3.

Ergänzend zu Abb. 2 ist in dieser Darstellung zudem zu erkennen, dass Größenwerte mit Prozessen als auch physischen Objekten wie einem Produkt in Beziehung stehen können. In diesem Beispiel könnten Prozess X und Y Herstellungsprozesse darstellen, während Prozess Z die Qualitätskontrolle mit dem Produkt als Input repräsentiert. Alle drei Prozesse werden von verschiedenen Personen ausgeführt, da andernfalls zwei Relationen von einer Ressource ausgehen würden.

Die Relationen sind in der IOF Core definiert und werden hier zur Vereinfachung verkürzt wiedergegeben. Teil dieser Ontologie sind auch generische Konzepte wie unter anderem ‚Agent‘ ‚Planned Process‘ oder ‚Process Characteristic‘.

Abb. 3

Ausblick: Was kommt als Nächstes?

In unserem nächsten Beitrag werden wir ein weiteres Beispiel aus der Produktion analysieren und genauer darauf eingehen, wie Ressourcen übergeordneter Ontologien (siehe Pyramide in Abb. 1) präzisiert werden. Oder anders gesagt: wir schauen uns an, wie wir anhand einer ontologischen Referenz ein anwendungsspezifisches Modell entwickeln können.

Wenn du einen konkreten Anwendungsfall hast, den du gerne beleuchten möchtest, schicke mir bis spätestens 30. November 2024 deine Ideen zu. Und wenn du mehr über das Thema Ontologien für dich und dein Unternehmen erfahren möchtest, dann kontaktiere mich gern.


Headerbild: © KI-generiert mit Adobe Firefly

Avatar-Foto

Manja Mai-Ly Pfaff-Kastner

Manja Mai-Ly Pfaff-Kastner
Gruppenleiterin "Wissensmodelle und Assistenz"
Abteilung "Digitalisierung in der Produktion"

Fraunhofer IWU
Reichenhainer Str. 88
09126 Chemnitz

Telefon: +49 371 5397 1394
E-Mail: manja.mai-ly.pfaff-kastner@iwu.fraunhofer.de

Avatar-Foto

Manja Mai-Ly Pfaff-Kastner

Manja Mai-Ly Pfaff-Kastner
Gruppenleiterin "Wissensmodelle und Assistenz"
Abteilung "Digitalisierung in der Produktion"

Fraunhofer IWU
Reichenhainer Str. 88
09126 Chemnitz

Telefon: +49 371 5397 1394
E-Mail: manja.mai-ly.pfaff-kastner@iwu.fraunhofer.de

Alle Beiträge