Wasserstoff bietet aufgrund seiner vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten ein großes Potential als umweltverträglicher Energieträger der Zukunft und ist daher Gegenstand aktueller Forschungen. Ein Forschungsprojekt dieser Domäne befasst sich mit der digitalen Abbildung einer grünen Wasserstoffwirtschaft von der Primärenergie über die Erzeugung grünen Wasserstoffs bis hin zur Nutzung. Im Projekt H2-Digital wurden drei Schwerpunkte gesetzt: eine H2-Digital-Ontologie, ein H2-Digital-Daten- und Modellraum sowie schließlich die H2-Digital-Modellierungs- und Simulationsplattform.
Im Ergebnis steht nicht nur die Repräsentation einzelner Komponenten, sondern auch die Verknüpfung mit Daten realer Infrastrukturen. Das soll genutzt werden, um digitale Zwillinge zu schaffen, welche als gekoppelte Simulationen (sog. Co-Simulationen) über die Plattform verknüpft werden können. Dabei lassen sich die Anlagen vom Anwender beliebig skalieren und modellieren, indem weitere Bausteine ergänzt oder Parameter geändert werden. Mithilfe dieser Modellierungs- und Simulationsplattform können verschiedenste Szenarien vorab im virtuellen Raum durchgespielt werden. Auf Basis dessen werden nachhaltige und wirtschaftliche Lösungen für die gesamte Wasserstoffprozesskette gefunden.
Dieses Projekt ist eine interdisziplinäre Entwicklungsbestrebung von 11 Fraunhofer-Instituten. Auch bei uns am Fraunhofer IWU erstreckt sich die Forschung über mehrere Abteilungen. Wie gelingt also die interoperable Verknüpfung der themenspezifischen Modelle? Die Antworten der verschiedenen Perspektiven am Fraunhofer IWU lesen Sie jetzt.
Manja Mai-Ly Pfaff – Die Ontologie als Datengrundstruktur
Dazu ist zunächst der Begriff »Ontologie« näher zu spezifizieren: Ontologien treten im Projekt als ein Wissensmodell auf. Diese Form der Wissensrepräsentation mit einer gemeinsamen Begriffswelt für Mensch und Maschine ermöglicht einerseits die einheitliche Beschreibung und Klassifizierung der Konzepte entlang der gesamten Technologiekette. Außerdem wird es um Konzepte und Eigenschaften zur Multiskalenmodellierung von Energie- und Wasserstoffsystemen erweitert. Die Ontologie bildet damit die Grundlage sowohl für den Daten- und Modellraum als auch für die Modellierungs- und Simulationsplattform.
Es soll möglich sein, Einzelmodelle, die auf beliebigen Simulationsumgebungen basieren, zu koppeln. Das Wissensmodell muss deshalb sowohl die einzelnen Systemelemente wie Windkraft oder Batteriespeicher einschließlich ihrer relevanten Bauteileigenschaften und -größen repräsentieren. Gleichzeitig muss die Konsistenz zwischen den Berechnungsgrößen der Modelle (bspw. elektrische Leistung) gewährleistet sein. Hierfür werden mit den Standards Functional Mockup Interface (FMI) und System Structure and Parameterization (SSP) in der Simulationsbranche anerkannte, offene Standards zur Schnittstellenbeschreibung genutzt.
Christian Keilig – Der Daten- und Modellraum als zentrale Komponente
Die durchgängige Semantik zu erhalten ist auch ein Ziel der Plattform h2link. Das ist ein am Fraunhofer IWU entwickelter RDF-Store mit projektspezifischen Zusatzfunktionen, welcher die zentrale Schnittstelle bildet. h2link hostet die H2-Ontologie und verbindet die Benutzeroberfläche (Fraunhofer IWES) mit der Simulationssteuerung (IWES und ICT). Der Benutzer kann in einer grafischen Benutzeroberfläche im Modellkatalog blättern, welcher im Hintergrund bei h2link angefordert wird. Soll die konfigurierte Simulation ausgeführt werden, sendet das Frontend eine Konfigurationsdatei an h2link. Hier werden die Daten übersetzt und weitere Informationen aus der Datenbank bereitgestellt.
Die Konfiguration der Simulation wird anschließend in eine SSP-konforme XML verpackt und zur Ausführung an die Simulationssteuerung geschickt. Die Simulationsergebnisse landen wiederum in h2link, wo diese gespeichert und dem Benutzer zur Abfrage zur Verfügung gestellt werden. Alle Schritte finden in enger Verknüpfung mit der H2-Ontologie statt. Ziel soll sein, dass der Anwender keine Kenntnisse mehr über FMUs, das sind Simulationsmodelle nach dem FMI-Standard, besitzen muss. Vielmehr kann er Katalogobjekte, wie eine hinterlegte, reale Windkraftanlage, mit digitalen Abbildungen anderer realer oder virtueller Objekte verknüpfen. Das geschieht jedoch nicht auf Modellebene, sondern auf Produktebene.
Leon Hollas – Modellierung von Energieverbrauchszenarien
Mit Hilfe von virtuellen Modellen kann bereits vor der Existenz realer Anlagen sehr schnell und mit einem vergleichsweise geringen finanziellen Aufwand überprüft werden, ob sich die Einrichtung neuer Prozessketten in wirtschaftlicher Hinsicht lohnt. Auch können ohne Weiteres mehrere Szenarien getestet und verglichen werden.
Um innerhalb der Wasserstoffwirtschaft am Ende eine Bilanz ziehen zu können, ist die Menge der mit grünem Wasserstoff erzeugten Energie notwendig. Außerdem benötigt wird ein realistischer Energieverbrauch in Abhängigkeit der verwendeten Maschine bzw. Produktionsszenarios. Nur mit dieser Information lassen sich Dimensionierungen der Windkraft-/Photovoltaik-Anlage, des Elektrolyseurs oder der Brennstoffzelle vornehmen. Deshalb ist eine sehr genaue Modellierung des Energieverbrauchs der Produktionsanlage zwingend erforderlich.
Dafür werden am Fraunhofer IWU bereits vorhandene Maschinen- und Robotermodelle in einer Software zur Bewegungssimulation von digitalen Zwillingen genutzt und um die Funktionalität der simulativen Ermittlung des Energieverbrauchs erweitert. Da für die Abbildung solcher physikalischen Effekte andere Simulationssoftware viel umfangreichere Möglichkeiten bietet, erfolgt die Modellerstellung dort. Anschließend muss das Energieverbrauchsmodell über eine Schnittstelle an das kinematisierte Modell angebunden werden. Dadurch wird eine domänenübergreifende Simulation geschaffen, bei der für jeden Bereich eine geeignete Software zur Anwendung kommen kann. Insofern liegen bereits auf Komponentenebene Co-Simulationen vor. Die Simulation der Produktion im Rahmen der gesamten Wasserstoffwirtschaft wird erneut mit anderen Einzelmodellen zusammengeführt.
Über Rückfragen freuen sich die Kollegin und Kollegen gerne per Mail oder via LinkedIn.
- Manja Mai-Ly Pfaff: manja.mai-ly.pfaff@iwu.fraunhofer.de oder LinkedIn
- Christian Keilig: christian.keilig@iwu.fraunhofer.de oder LinkedIn
- Leon Hollas: leon.hollas@iwu.fraunhofer.de
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Abbildung im Text: © Fraunhofer IWU